Aktuell leben in Niedersachsen 55 ansässige Wolfsrudel, 3 Wolfspaare und 3 residente Einzelwölfe – also insgesamt 61 Wolfsterritorien (Stand August 2024, Landesjägerschaft Niedersachsen; Wolfsmonitoring). Schätzungsweise dürften in Niedersachsen etwa 600 Wölfe leben. Die Zahl der Wölfe wächst seit Jahren. So waren es im Berichtsjahr 2022/21 erst 34 Rudel.
Problematisch ist eine starke Ausbreitung des Wolfes speziell für Weidetierhalter. Weidehaltung leistet vielerorts einen enormen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität. Im Wolfsjahr 2023/2024 wurden insgesamt 283 Wolfsübergriffe gemeldet. Das Umweltministerium spricht von 1.412 Weidetieren, die Opfer von Wolfsrissen wurden. 803 Nutztiere sind dabei gestorben oder mussten später eingeschläfert werden.
Hamm, 08.09.2023
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. steht für einen nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Herz und Seele des europäischen Naturschutzes sind die Fauna-Flora-Habitat Richtlinie (FFH-Richtlinie) sowie die Vogelschutzrichtlinie. Die AbL unterstützt die Umsetzung beider Richtlinien. Der Wolf wird in Deutschland in den Anhängen II und IV der FFH-Richtlinie geführt, in anderen EU-Mitgliedsstaaten in Anhang V. Der aktuelle Umgang mit dem Wolf erzeugt Zielkonflikte innerhalb der FFH-Richtlinie, weil er in der Weidetierhaltung – als eine Voraussetzung für Biodiversität – Probleme hervorruft. In diesem Positionspapier stellen wir Forderungen auf, mit deren Umsetzung eine Konfliktminimierung zwischen Weidehaltung und dem Schutz des Raubtieres möglich ist (Hintergrund siehe weiter unten).
1. Die AbL fordert die Bundesländer auf, die Möglichkeiten des vorhandenen Rechtsrahmens auszuschöpfen und die Entnahme von solchen Wölfen konsequent umzusetzen, welche die etablierten Mindestschutzstandards überwunden und Nutztiere geschädigt haben. Fachlich ist ein Wolf nach einem einmalig erfolgreichen Übergriff auf geschützte Tiere positiv auf das Erbeuten von Weidetieren geprägt und das Erlernen der Überwindung von Schutzeinrichtungen bedarf auch keiner mehrmaligen Wiederholung. Solche Tiere sind eine Bedrohung für Weidetiere und für die Weidetierhaltung und müssen unverzüglich zur Entnahme freigegeben werden. Für die Entnahme müssen einheitliche und länderübergreifende Standards gelten.
2. Die Identifizierung der für Nutztierrisse verantwortlichen Tiere ist mit großen Schwierigkeiten behaftet. Daher müssen die Möglichkeiten, die das Bundesnaturschutzgesetz in § 45a Abs.2 bereits vorsieht konsequent umgesetzt werden. In einem klar definierten Raum ist es somit zeitlich befristet möglich, Wölfe zu entnehmen bis das übergriffige Tier entnommen ist.
3. Weidetierhaltung muss auch in Situationen, in denen die Sicherheit der Zäunung von örtlichen Begebenheiten limitiert wird und auch bei gewissenhaftem, zumutbarem Aufbau nicht garantiert werden kann, möglich sein. Kommt es hier zu Übergriffen, muss eine Entnahme durchgeführt werden.
4. Die AbL fordert die politischen Entscheidungsträger auf, sich dafür einzusetzen, den Wolf perspektivisch in Anhang V der FFH-Richtlinie zu stellen, um damit eine leichtere Regulation bei Vorliegen des günstigen Erhaltungszustands zu ermöglichen.
5. Die AbL fordert Bund und Länder, aber auch die EU-Kommission auf, die Methodik zur Feststellung des Erhaltungszustandes von Wolfspopulationen an die tatsächliche Gefährdungslage anzugleichen. Nach IUCN (Weltnaturschutzunion) ist die Art nicht gefährdet. Fachlich ist es auch nicht nachvollziehbar, warum die Art bspw. in Frankreich trotz der geringeren Individuenzahl und ähnlichen Verbreitung im günstigen Erhaltungszustand geführt wird, während dieser in den biogeographischen Regionen Deutschlands als ungünstig-schlecht gilt. Dies ist nur mit einer abweichenden Bewertungsmethodik zu erklären.
6. Die AbL fordert Bund und Länder auf, eine Regulation der Art (in Anhang V) perspektivisch zu ermöglichen. Die Referenz bleibt der günstige Erhaltungszustand unter einer verbesserten, weil realistischeren Gefährdungseinschätzung. Ziel muss es sein, Tiere, die übergriffig sind, rasch zu beseitigen, während Rudel, die keine Übergriffe auf Nutztiere zeigen, geschont werden müssen.
7. Während für die Haltung von kleinen Wiederkäuern Mindestschutzstandards definiert sind, fehlen sie noch für andere Haltungsformen. Die AbL fordert Bund und Länder auf, einheitliche Standards zur Definition des betrieblich zumutbaren Schutzes für die Rinderhaltung zu schaffen. Betrieblich nicht zumutbar sind mehrlitzige Zäune, Flatterbänder oder Nachtpferche in der Rinder- bzw. Milchviehhaltung. Die Einrichtung von speziell geschützten Abkalbeweiden ist nicht in jedem Betrieb möglich. Es müssen realistische Ausnahmen geschaffen werden (z.B. für große Standweiden und Abkalbung im Herdenverbund).
8. Die AbL fordert die Politik dazu auf, unverzüglich und deutschlandweit eine vollumfängliche Förderung von Material- und Arbeitskosten für die wolfsabweisende Zäunung zu gewährleisten. Es ist fachlich nicht überzeugend, weshalb bei einer derart ausbreitungsstarken Art immer noch zwischen Förder- und Nicht-Fördergebieten unterschieden wird. Zusätzlich zu den Entschädigungen für erfolgte Übergriffe müssen Regelungen für den Ausgleich von Schäden an Tiere geschaffen werden, die infolge von Einwirkungen eines Wolfes bei Ausbrüchen erfolgt sind.
9. Die Politik muss dafür Sorge tragen, dass für alle Tierhaltungen wolfsabweisende Zäune vollumfänglich gefördert werden und auch in die Flächen kommen. Beratungsangebote sind vorzuhalten. Prinzipiell kann der Wolf überall das erfolgreiche Reißen von Nutztieren erlernen. Daher greifen Regelungen, die sich allein auf erwerbsorientierte Betriebe konzentrieren, zu kurz. Die Haftungsfragen – für den Schadenfall bei ausbrechenden Herden – sind im Sinne der Weidetierhalter zu klären.
10. Solange Betriebe am wirtschaftlichen Existenzlimit agieren, ist die Bereitschaft für zusätzlichen Arbeitsaufwand – selbst wenn Kapazitäten vorhanden wären – nicht gegeben. Eine höhere Akzeptanz des Wolfes ist daher nur denkbar, wenn weidebasierte Haltungen eine insgesamt wesentlich höhere politische und gesellschaftliche Wertschätzung und Wertschöpfung erfahren.
Hintergrund:
Die starke Ausbreitung des Wolfes taugt keineswegs als Symbol eines gelingenden Naturschutzes. Die Art ist Nahrungs- und Habitatgeneralist, ihre Rückkehr und Ausbreitung sind alleinig auf ein Verbot der Bejagung und nicht auf eine Verbesserung von Ökosystemen zurückzuführen. Der Wolf ist nach IUCN aktuell als nicht gefährdet eingestuft, aber nach FFH-Richtlinie und dem nachgeordneten nationalem Recht streng geschützt. Eine
Bestandsregulation ist daher aktuell rechtlich nicht möglich, obwohl die Population sehr rasch wächst.
Problematisch ist seine starke Ausbreitung speziell für Weidetierhalter, da die Zäunung der Weidetiere zur Verhinderung von Übergriffen deutlich aufgerüstet werden muss. Wolfsabweisende Zäunung erfordert gegenüber dem Vor-Wolfs-Standard einen deutlich höheren Arbeitsaufwand und einen deutlich höheren Materialeinsatz. In einigen Regionen werden die Anschaffung des Materials und der zusätzliche Arbeitsaufwand finanziell unterstützt, in anderen nicht. Hoch problematisch ist für Weidetierhalter der Faktor Arbeitszeit. Das war schon vor dem Wolf der Fall. Die Lage wird durch den Wolf und die neuen Anforderungen an die Zäunung nun nochmals deutlich verschärft. Der Aufwand lässt sich zwar finanziell ausgleichen, die zusätzlich erforderliche Arbeitszeit ist aber in den allermeisten Betrieben nicht vorhanden und es existieren etliche Situationen, in denen die Sicherheit der Zäunung von örtlichen Begebenheiten limitiert wird und auch bei größter Sorgfalt nicht gewährleistet werden kann. Beispiele sind das schwierige Gelände auf Almen, in Mittelgebirgen, im Feuchtgrünland, an Deichen oder an Waldrändern, Hecken und Knicks.
In der Praxis kann die Anwesenheit des Wolfes (1) zu einer massiven zusätzlichen Zäunung in der Landschaft führen, die auch die Bewegung anderer Wildtiere einschränkt und das Landschaftsbild beeinträchtigt, (2) zur partiellen Aufgabe von Weideflächen führen, insbesondere derer, die schwer zu zäunen sind. Häufig sind das genau die Flächen, die naturschutzfachlich besonders wertvoll sind und deren Erhalt auf Beweidung angewiesen ist. (3) Und schließlich trifft der erhebliche Mehraufwand, der für die Zäunung nötig ist, viele Betriebe, die diese Arbeitszeit betriebsintern nicht aufbringen können. Mittel- bis langfristig trägt dies zu Betriebsaufgaben bei, wodurch wiederum entscheidende Voraussetzungen für einen gelingenden Naturschutz im Sinne einer Erfüllung der FFH-Richtlinie und Vogelschutzrichtlinie bedroht sind. Denn es sind weithin die Weidetierhalter in Haupt- und Nebenerwerb, die die Landschaft pflegen und u.a. dem Insektensterben mit ihrer Haltungsform entgegenwirken.
Als die FFH-Richtlinie 1992 unterschrieben wurde, war wohl noch nicht absehbar, welch große Abwicklungsprobleme der Schutz einzelner Arten nach sich zieht und dass die geschaffenen Rechtsnormen Bemühungen erzwingen, die weit über die reale Gefährdung hinausgehen. Aus gutem Grund wurden die Rechtsnormen so gestaltet, dass sie nicht leicht abänderbar sind. Das verhindert eine Erosion gesetzter Standards. Gleichzeit ist festzustellen, dass die Richtlinie bei einigen wenigen Arten (neben dem Wolf z.B. Mauereidechse) deutlich über das Ziel hinausschießt, weil das Rechtskonstrukt nicht auf reale Veränderungen reagiert. Dies ist auch beim Wolf der Fall, bei dem ausgerechnet diejenigen, die noch eine biodiversitätsfördernde, weil Weide-basierte Landnutzung betreiben, am meisten unter dem rechtlichen Schutz zu leiden haben. Eine Anpassung des Schutzstatus bzw. der Rechtsnormen der FFH-Richtlinie sind daher faktisch zwingend erforderlich.
Der AbL ist klar, dass sich die Zeit nicht mehr zurückdrehen lässt. Solange Wölfe in Deutschland leben, wird es Attacken auf Nutztiere geben. Die AbL trägt diesen Kompromiss mit, sofern die oben genannten Forderungen umgesetzt werden. Die AbL weist darauf hin, dass Weidetierhalter seit vielen Jahren unter starkem Druck sind. Das Höfesterben ist multifaktoriell, aber die exponentielle Vermehrung des Wolfes bedeutet einen die Weidehaltung gefährdenden neuen Einflussfaktor.
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